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Gesundheit

Cannabis gegen Glaukom: Eine Hoffnung für die Augen oder ein gefährlicher Irrweg?

 

Glaukom, oft auch als Grüner Star bekannt, ist eine heimtückische Augenerkrankung, die weltweit Millionen Menschen betrifft und unbehandelt zur Erblindung führen kann. Es handelt sich um eine Gruppe von Erkrankungen, die den Sehnerv schädigen, meist infolge eines erhöhten Augeninnendrucks. Die Suche nach wirksamen Behandlungsmethoden ist daher von größter Bedeutung. In den letzten Jahrzehnten hat sich eine Frage immer wieder in den Vordergrund gedrängt: Kann Cannabis eine Rolle bei der Behandlung von Glaukom spielen? Die Diskussion ist komplex, mit vielen Mythen, Hoffnungen und wissenschaftlichen Erkenntnissen. In diesem umfassenden Blogbeitrag beleuchten wir die aktuelle Studienlage, die Wirkmechanismen, potenzielle Risiken und die Frage, ob Cannabis eine echte Alternative oder lediglich eine Ergänzung in der Glaukomtherapie darstellt.

 

Glaukom verstehen: Der Feind des Sehnervs

 

Bevor wir uns dem Thema Cannabis zuwenden, ist es entscheidend, die Grundlagen des Glaukoms zu verstehen. Im Inneren des Auges wird ständig eine klare Flüssigkeit, das Kammerwasser, produziert und wieder abgeleitet. Ist dieses Gleichgewicht gestört, steigt der Druck im Auge – der sogenannte Augeninnendruck (IOD). Ein erhöhter IOD ist der Hauptrisikofaktor für Glaukom, da er den empfindlichen Sehnerv schädigt, der die visuellen Informationen vom Auge zum Gehirn transportiert. Ohne einen funktionierenden Sehnerv kommt es zu Gesichtsfeldausfällen, die sich allmählich ausbreiten und im schlimmsten Fall zur vollständigen Erblindung führen können.

Die Symptome von Glaukom sind tückisch, da sie sich oft erst im fortgeschrittenen Stadium bemerkbar machen. Viele Betroffene bemerken über Jahre keine Veränderungen ihres Sehvermögens, während der Schaden am Sehnerv unwiederbringlich fortschreitet. Regelmäßige Augenuntersuchungen sind daher essenziell, um ein Glaukom frühzeitig zu erkennen und zu behandeln.

Die Standardtherapien für Glaukom umfassen in der Regel:

  • Augentropfen: Medikamente, die den Augeninnendruck senken, indem sie die Kammerwasserproduktion reduzieren oder den Abfluss verbessern.
  • Laserbehandlungen: Verfahren, die den Kammerwasserabfluss erleichtern.
  • Chirurgische Eingriffe: Operationen, die bei fortgeschrittenem Glaukom oder unzureichendem Ansprechen auf andere Therapien den Augeninnendruck dauerhaft senken sollen.

Ziel aller Behandlungen ist es, den Augeninnendruck zu senken und so das Fortschreiten der Sehnervenschädigung zu verlangsamen oder zu stoppen.

 

Cannabis und der Augeninnendruck: Was die Wissenschaft sagt

 

Die Diskussion um Cannabis als mögliche Glaukombehandlung begann bereits in den 1970er Jahren, als erste Berichte darauf hindeuteten, dass der Konsum von Marihuana den Augeninnendruck senken könnte. Diese Beobachtungen führten zu einer Welle von Forschungen, um die genauen Mechanismen und das Potenzial von Cannabis bei Glaukom zu untersuchen.

Wirkmechanismus von Cannabis auf den Augeninnendruck: Der primäre Wirkstoff in Cannabis, der für die drucksenkende Wirkung verantwortlich gemacht wird, ist Tetrahydrocannabinol (THC). THC bindet an Cannabinoid-Rezeptoren im Körper, einschließlich solcher, die im Auge vorkommen. Es wird angenommen, dass THC durch verschiedene Mechanismen den Augeninnendruck senkt, darunter:

  • Reduzierung der Kammerwasserproduktion: THC könnte die Aktivität der Ziliarprozesse im Auge beeinflussen, die für die Produktion des Kammerwassers zuständig sind.
  • Erhöhung des Kammerwasserabflusses: Obwohl weniger klar bewiesen, gibt es Hinweise darauf, dass THC auch den Abfluss des Kammerwassers verbessern könnte.
  • Gefäßerweiterung: THC kann eine Erweiterung der Blutgefäße bewirken, was potenziell die Durchblutung im Auge verbessern könnte, was wiederum dem Sehnerv zugutekommen würde.

Studienlage und Erkenntnisse: Initialstudien zeigten tatsächlich, dass sowohl gerauchtes Marihuana als auch oral eingenommenes THC den Augeninnendruck bei Patienten mit Glaukom senken können. Die drucksenkende Wirkung setzte meist schnell ein (innerhalb von 60-90 Minuten), hielt aber nur für etwa 3-4 Stunden an. Dies ist ein entscheidender Punkt. Um einen dauerhaft kontrollierten Augeninnendruck zu gewährleisten, der für den Schutz des Sehnervs unerlässlich ist, müsste Cannabis alle 3-4 Stunden, Tag und Nacht, konsumiert werden. Dies würde bedeuten, dass Patienten bis zu sechs bis acht Mal täglich Cannabis einnehmen müssten.

Probleme bei der Anwendung als primäre Glaukomtherapie: Die geringe Wirkdauer ist das größte Hindernis für die routinemäßige Anwendung von Cannabis als primäres Glaukommedikament. Aber es gibt weitere Herausforderungen:

  • Systemische Nebenwirkungen: Der regelmäßige und hochfrequente Konsum von THC führt zu einer Reihe von systemischen Nebenwirkungen, die die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen können. Dazu gehören:
    • Psychomotorische Beeinträchtigungen: Schwindel, Benommenheit, Koordinationsstörungen.
    • Kognitive Effekte: Gedächtnisstörungen, Konzentrationsprobleme, verlangsamte Reaktionszeiten.
    • Kardiovaskuläre Effekte: Erhöhung der Herzfrequenz und Senkung des Blutdrucks, was insbesondere für ältere Patienten mit Vorerkrankungen problematisch sein kann.
    • Psychiatrische Effekte: Paranoia, Angstzustände, Panikattacken, insbesondere bei hohen Dosen oder prädisponierten Personen.
    • Abhängigkeitspotenzial: Regelmäßiger Cannabiskonsum kann zu psychischer Abhängigkeit führen.
  • Dosis und Standardisierung: Die genaue Dosierung von THC in gerauchtem Cannabis ist schwer zu kontrollieren. Produkte variieren stark im THC-Gehalt, was eine präzise medizinische Anwendung erschwert. Auch bei standardisierten Präparaten wie Dronabinol (synthetisches THC) bleibt die kurze Wirkdauer ein Problem.
  • Rauchinhaltstoffe: Das Rauchen von Cannabis birgt ähnliche Risiken wie das Rauchen von Tabak, darunter die Exposition gegenüber Teer und krebserregenden Stoffen, die die Atemwege schädigen können.
  • Fehlende Neuroprotektion: Während Cannabis den Augeninnendruck senken kann, gibt es keine überzeugenden Beweise dafür, dass es den Sehnerv direkt vor Schäden schützt (Neuroprotektion) oder geschädigte Nervenzellen wiederherstellen kann. Moderne Glaukommedikamente zielen manchmal auch auf neuroprotektive Effekte ab.

 

Medizinisches Cannabis in Deutschland: Was ist erlaubt?

 

In Deutschland ist medizinisches Cannabis seit 2017 unter bestimmten Voraussetzungen verschreibungsfähig. Es wird jedoch nicht primär zur Behandlung des Glaukoms eingesetzt. Die Hauptindikationen sind chronische Schmerzen, Spastik bei Multipler Sklerose, Übelkeit und Erbrechen bei Chemotherapie, sowie zur Appetitanregung. Obwohl der Augeninnendruck gesenkt werden kann, wird dies aufgrund der oben genannten Einschränkungen und der Verfügbarkeit weitaus effektiverer und sichererer Standardtherapien in der Regel nicht als ausreichender Grund für eine Verschreibung bei Glaukom angesehen.

Ein Augenarzt würde in den allermeisten Fällen Augentropfen oder andere konventionelle Therapien empfehlen, da diese eine viel zuverlässigere und dauerhaftere Kontrolle des Augeninnendrucks ermöglichen, ohne die gravierenden systemischen Nebenwirkungen, die bei der notwendigen hohen Frequenz des Cannabiskonsums auftreten würden.

 

CBD und Glaukom: Eine neuere Perspektive?

 

Neben THC enthält Cannabis auch andere Cannabinoide, von denen Cannabidiol (CBD) das bekannteste ist. Im Gegensatz zu THC hat CBD keine psychoaktiven Wirkungen. Die Forschung zu CBD und Glaukom ist noch in den Anfängen und die Ergebnisse sind widersprüchlich. Einige Studien deuten darauf hin, dass CBD den Augeninnendruck erhöhen könnte, während andere keine signifikante Wirkung zeigen. Aktuell gibt es keine wissenschaftlich fundierten Beweise, die den Einsatz von CBD zur Glaukombehandlung rechtfertigen würden. Patienten sollten daher bei der Verwendung von CBD-Produkten, insbesondere in Bezug auf ihre Augengesundheit, größte Vorsicht walten lassen und dies unbedingt mit ihrem behandelnden Augenarzt besprechen.

 

Fazit: Cannabis als Glaukom-Therapie – Eine vorsichtige Betrachtung

 

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Cannabis den Augeninnendruck senken kann, aber derzeit keine praktische oder sichere Primärtherapie für Glaukom darstellt. Die kurze Wirkdauer, die Notwendigkeit eines extrem häufigen Konsums und die erheblichen systemischen Nebenwirkungen, die dabei auftreten würden, machen es zu einer ungeeigneten Behandlungsoption im Vergleich zu den etablierten Glaukommedikamenten.

Experten weltweit, darunter die American Academy of Ophthalmology und die Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft, raten dringend davon ab, Cannabis als primäre Glaukomtherapie einzusetzen. Sie betonen, dass Patienten sich auf evidenzbasierte Medikamente und Behandlungen verlassen sollten, die eine kontinuierliche und effektive Kontrolle des Augeninnendrucks gewährleisten.

Wichtiger Hinweis für Patienten: Wenn Sie an Glaukom leiden oder Symptome bemerken, suchen Sie umgehend einen Augenarzt auf. Vertrauen Sie auf die Empfehlungen Ihres Spezialisten und halten Sie sich an die verschriebenen Therapien. Experimente mit unkonventionellen oder nicht zugelassenen Behandlungen können zu irreversiblen Schäden am Sehnerv und im schlimmsten Fall zur Erblindung führen. Die Forschung zum Thema Cannabis und Augengesundheit schreitet voran, und es ist wichtig, auf dem neuesten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse zu bleiben. Doch zum jetzigen Zeitpunkt ist Cannabis keine sichere oder effektive Alternative zu den bewährten Glaukombehandlungen.